Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA hat ihr Enforcementverfahren gegen Raiffeisen Schweiz zu Corporate-Governance-Themen abgeschlossen. Die FINMA stellt fest, dass die Bank Interessenkonflikte ungenügend gehandhabt hat. Zudem hat der Verwaltungsrat der Bank die Aufsicht über den ehemaligen CEO vernachlässigt. Damit ermöglichte der Verwaltungsrat dem ehemaligen CEO zumindest potenziell, eigene finanzielle Vorteile auf Kosten der Bank zu erzielen. Insgesamt stellt die FINMA eine schwere Verletzung der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen fest. Die FINMA verfügt Massnahmen zur Verbesserung der Corporate Governance. Sie würdigt die schon getroffenen Massnahmen der Bank positiv. Die FINMA wird die Umsetzung und die Wirkung der Massnahmen von einem unabhängigen Beauftragten überprüfen lassen.
Im Jahr 2016 hat die FINMA bei Raiffeisen Schweiz Abklärungen wegen Hinweisen auf mögliche Interessenkonflikte eingeleitet. Anfang 2017 setzte die FINMA einen Prüfbeauftragten ein, der Fragen der Corporate Governance vertieft forensisch untersuchte. Aufgrund der Untersuchungsergebnisse eröffnete die FINMA im Oktober 2017 ein Verfahren gegen die Bank. Dieses hat die FINMA im Juni 2018 nun abgeschlossen.
Hauptgegenstand des Verfahrens war die Beteiligung der Bank an den Gesellschaften Investnet AG, KMU Capital AG und Investnet Holding AG, die auf Beteiligungen an kleineren oder mittleren Unternehmen spezialisiert sind. Besonders im Fokus lag die Rolle des ehemaligen CEO, namentlich wegen dessen eigener Beteiligung als Minderheitsaktionär an der Investnet Holding AG. Daneben untersuchte die FINMA Mängel bei der Kreditvergabe an den ehemaligen CEO und an Personen, die der Bank oder ihren Beteiligungen nahestanden, sowie erhebliche Überschreitungen des CEO-Budgets.
Andere Beteiligungen der Raiffeisen Schweiz hat die FINMA nicht vertieft untersucht. Beteiligungen der Aduno-Gruppe liegen ausserhalb des Aufsichtsperimeters der FINMA. Die vertieften Untersuchungen zum "Fall Investnet" allein erlaubten es aber, die nötigen Schlüsse hinsichtlich der erwähnten Mängel zu ziehen und die aufsichtsrechtlich erforderlichen Schritte einzuleiten, um eine Wiederholung der Verfehlungen möglichst auszuschliessen.
Beteiligungsstrategie: Viele Interessenkonflikte, ungenügende Kontrollen
Raiffeisen Schweiz hatte unter der Führung des ehemaligen CEO eine Vielzahl an Beteiligungen aufgebaut. Diese führten oft zu Rollenkumulationen und Interessenkonflikten. So war Raiffeisen Schweiz bei verschiedenen Beteiligungen gleichzeitig Aktionärin, Geschäftspartnerin und Kreditgeberin von Gesellschaften oder ihren Organen und im Verwaltungsrat vertreten. Damit hat sich Raiffeisen Schweiz hohen Risiken ausgesetzt. Beteiligungen sind aufsichtsrechtlich per se unproblematisch; solche Rollenkumulationen bringen aber erhöhte Anforderungen an das Management und die Kontrollen von Interessenkonflikten mit sich.
Die Beteiligung des ehemaligen CEO an der Investnet Holding AG
Eine Rollenkumulation mit erheblichen Interessenkonflikten ergab sich insbesondere im Fall der Investnet-Beteiligung. Die Gesellschaften Investnet AG, KMU Capital AG und von 2015 an auch die Investnet Holding AG waren mehrheitlich im Besitz der Raiffeisen Schweiz. In einer ersten Phase ab dem Jahr 2012 hielt ein Berater der Raiffeisen Schweiz und gleichzeitig enger Vertrauter des ehemaligen CEO indirekt eine Minderheitsbeteiligung in Aktien der Investnet AG und der KMU Capital AG, was der Raiffeisen Schweiz, mit Ausnahme des ehemaligen CEO, nicht bekannt war. In einer zweiten Phase ab dem Jahr 2015 wurden die Gesellschaften neu strukturiert und der ehemalige CEO wurde ebenfalls zum Minderheitsaktionär, indem er seiner Arbeitgeberin, der Raiffeisen Schweiz, Aktien der Investnet Holding AG abkaufte.
Sowohl der ehemalige CEO als auch der angesprochene Berater waren in die Verhandlungen rund um die Restrukturierung der Gruppe involviert. Die FINMA konzentrierte sich bei ihrer Untersuchung vorab auf den Prozess der Verhandlungen und Transaktionen rund um diese Restrukturierung und dabei insbesondere auf die Rolle des ehemaligen CEO, auf die Rolle des Verwaltungsrats und auf die übrigen bankinternen Kontrollen.
Der ehemalige CEO legte seine Beteiligungsabsichten an der Investnet Holding AG gegenüber dem Verwaltungsrat nicht angemessen offen. Obwohl er als CEO der Bank Verkäufer und als Privatperson zugleich Käufer der Aktien der Investnet Holding AG war, und damit in einem klaren Interessenkonflikt stand, trat er entgegen den internen Weisungen nicht in den Ausstand. Auch der Verwaltungsrat der Raiffeisen Schweiz unterliess es seinerseits, den naheliegenden potenziellen Interessenkonflikten nachzugehen und die internen Regeln zu deren Offenlegung sowie die Ausstandspflichten durchzusetzen.
Während des Verkaufsprozesses war der Informationsfluss innerhalb der Bank ungenügend. Die involvierten Einzelpersonen gaben die Informationen nur selektiv weiter, sodass Entscheidungsträger und relevante Gremien nicht über ein Gesamtbild verfügten. So traktandierte, diskutierte und dokumentierte der Verwaltungsrat den Entscheid zum Verkauf der Minderheitsbeteiligung an der Investnet Holding AG an den ehemaligen CEO nicht angemessen. Das Geschäft wurde unter dem Traktandum "Varia" mit einer knappen Tischvorlage vom ehemaligen CEO selber vorgetragen, was eine sachgerechte Vorbereitung und Diskussion verunmöglichte. Zudem wurden relevante Teile des dazugehörigen Protokolls geschwärzt. Der Verwaltungsrat überwachte auch den weiteren Verkaufsprozess nur mangelhaft. So wurde z.B. kein schriftlicher Kaufvertrag abgeschlossen. Es wurden auch keine vorgängigen Abklärungen bezüglich Fairness des Kaufpreises vorgenommen.
Ungenügendes Risikomanagement bei Kreditvergaben
Bei der Vergabe von Krediten an den ehemaligen CEO und an Personen, die der Bank oder ihren Beteiligungen nahestanden, kam es ebenfalls zu Verfehlungen. Es wurden Ausnahmen zu internen Kreditvergaberichtlinien gewährt, und die Meinung von internen Kontrollfunktionen sowie bestehende Prozesse wurden übersteuert. So wurde ein Kredit an den ehemaligen CEO für die vollständige Finanzierung seiner Beteiligung an der Investnet Holding AG weisungswidrig nicht vom zuständigen Verwaltungsratsausschuss genehmigt. In einem anderen Fall genehmigte die Geschäftsleitung anstelle des Verwaltungsrats einen namhaften Blankokredit zu unüblichen Konditionen. Dabei wurden ein Organmitglied einer Beteiligung und die entsprechende Gesellschaft trotz deren wirtschaftlicher Abhängigkeit nicht als miteinander verbundene Gegenparteien eingestuft. Dadurch erkannte die Bank entsprechende Klumpenrisiken nicht. In der Folge berechnete sie auch die aufsichtsrechtlichen Eigenmittel falsch. Das Risikomanagement der Bank hat sich in diesen Punkten insgesamt als ungenügend erwiesen.
Mangelnde Kontrolle der Ausgaben des ehemaligen CEO
Die Aufsicht über den ehemaligen CEO funktionierte auch in anderen Bereichen nicht. Der ehemalige CEO hat über Jahre hinweg hohe und pauschale Mandatshonorare an den ihm nahestehenden Berater bezahlt und dabei das ihm als CEO zustehende Budget teils erheblich überschritten. Obwohl dem Verwaltungsrat die Budgetüberschreitungen bekannt waren, beanstandete er diese nie. Zudem war dem Verwaltungsrat auch nicht bekannt, wofür die teilweise hohen Beträge verwendet wurden.
Schwere Mängel in der Corporate Governance
Der Verwaltungsrat von Raiffeisen Schweiz hat seine Funktion als Oberleitungs-, Aufsichts- und Kontrollorgan der Bank insbesondere im Zeitraum von 2012 bis 2015 ungenügend wahrgenommen. Der Verwaltungsrat hat die Pflicht zur Oberaufsicht über den CEO vernachlässigt, indem er die Einhaltung der internen Regelungen nicht durchgesetzt hat. So wurden beispielsweise die privaten Beteiligungen des CEO ab 2012 nie offengelegt und überwacht. Damit ermöglichte es der Verwaltungsrat dem ehemaligen CEO zumindest potenziell, eigene finanzielle Vorteile auf Kosten der Bank zu erzielen. Im Zusammenhang mit der Vergabe von Krediten hat die mangelhafte Einhaltung interner Regelungen dazu geführt, dass die Bank riskante finanzielle Positionen gegenüber externen nahestehenden Parteien übernahm. Unter Verkennung des Interessenkonfliktes des ehemaligen CEO hat der Verwaltungsrat beim Verkauf der Beteiligung an der Investnet Holding AG an den ehemaligen CEO bei einem Geschäft mit beträchtlichen Reputationsrisiken gegen das Geschäftsreglement zum Umgang mit Interessenkonflikten und gegen aufsichtsrechtliche Bestimmungen verstossen. Die Verstösse und Unterlassungen stellen in ihrer Gesamtheit eine schwere Verletzung von Aufsichtsrecht dar.
Raiffeisen ergreift geeignete Massnahmen
Raiffeisen Schweiz hat in den vergangenen zwei Jahren eine Reihe von eigenen Massnahmen ergriffen. Diese erachtet die FINMA bei konsequenter Umsetzung geeignet, um die Corporate Governance der Bank und den Umgang mit Interessenkonflikten zu verbessern. So verfolgt die Bank eine Entflechtungsstrategie und reduziert dabei risikobehaftete Rollenkumulationen und Interessenkonflikte. Daneben hat die Bank auch personelle Veränderungen im Verwaltungsrat angekündigt oder bereits vorgenommen. Zudem hat Raiffeisen Schweiz eine interne Untersuchung relevanter Beteiligungen in Auftrag gegeben und will bis Ende 2018 Konsequenzen aus dieser Untersuchung ziehen.
FINMA ordnet weitere Massnahmen an
Die FINMA verfügt zur Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustands verschiedene Massnahmen. So ordnet sie an, dass sich der Verwaltungsrat von Raiffeisen Schweiz erneuern und fachlich verstärken muss. Dabei hat die Bank dafür zu sorgen, dass mindestens zwei Mitglieder die für die Grösse des Instituts erforderliche Erfahrung im Bankwesen haben. Zudem muss mindestens ein Mitglied über ausgewiesene, den Verhältnissen des Instituts angemessene Erfahrung im Bereich Compliance verfügen. Mitglieder des Prüfausschusses sowie des Risikoausschusses müssen ihrerseits entsprechende Qualifikationen vorweisen können. Die FINMA wird die Angemessenheit, die Umsetzung und die Wirksamkeit dieser von der FINMA verfügten Massnahmen sowie der von Raiffeisen Schweiz selbst ergriffenen Massnahmen zur Verbesserung der Corporate Governance und zur Entflechtung der Beteiligungsstruktur von einem Beauftragten überprüfen lassen. Raiffeisen Schweiz wird zudem verpflichtet, die Vor- und Nachteile einer Umwandlung von Raiffeisen Schweiz in eine Aktiengesellschaft vertieft zu prüfen, da Rechtsform und Gruppenstruktur einen erheblichen Einfluss auf die Anforderungen in Sachen Corporate Governance haben.
Massnahmen gegen Privatpersonen
Die FINMA hat 2017 ein Verfahren gegen den ehemaligen CEO der Raiffeisen Schweiz geführt und dieses im Dezember 2017 als gegenstandslos abgeschrieben. Da der ehemalige CEO öffentlich einen lebenslangen Verzicht auf Führungspositionen in der Finanzbranche erklärt hat, hätte die FINMA mit einer Fortsetzung ihres Verfahrens und einem Berufsverbot als allfällige Massnahme nichts Zusätzliches erreichen können. Die Fortführung des Verfahrens wäre hier rein symbolischer Natur gewesen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat den Fall aufgenommen und konnte dabei von der Aufarbeitung des Falles durch die FINMA profitieren. Das strafrechtliche Verfahren der Strafverfolgungsbehörden und die beiden aufsichtsrechtlichen Verfahren der FINMA fördern die bestmögliche Aufklärung in diesem Fall.
Ob die FINMA im Kontext dieses Falles weitere Verfahren gegen Einzelpersonen eröffnen wird, wird sie erst nach Vorliegen der internen Untersuchung der Bank entscheiden. Bis jetzt hat die FINMA keine Anhaltspunkte, die ein aufsichtsrechtliches Verfahren gegen heutige Führungskräfte der Raiffeisen Schweiz rechtfertigen würden.
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